Generation Facebook – Vom Leben im digitalen Enclosure
Text: Dr. Theo Röhle, Universität Paderborn
Der Börsengang von Facebook rückt näher. Am 18. Mai sollen erstmals Aktien für jedermann erhältlich sein, zumindest in den USA. Für das Unternehmen werden Einnahmen von bis zu 11,8 Mrd. Dollar erwartet, dessen Gründer Mark Zuckerberg würde damit in die Riege der 40 reichsten Menschen der Welt aufsteigen. Auch wenn der Börsenwert des Unternehmens nach aktuellen Berechnungen unter den 100 Mrd. Dollar liegen wird, die einst prognostiziert wurden, bricht Facebook alle Rekorde: Der bisher erfolgreichste Börsengang eines Internetunternehmens hatte Google 2004 nur vergleichsweise geringe 1,7 Mrd. Dollar eingebracht. Und es werden zunächst nur 5% der Aktien frei gehandelt werden.
Jenseits der Aufzählung von Superlativen, die die Berichterstattung über Facebook unweigerlich begleiten, wirft der Börsengang vor allem eine zentrale Frage auf: Worin liegt eigentlich der Erfolg des Unternehmens begründet? Welche gesellschaftlichen Bedürfnisse verspricht es zu befriedigen? Der Sammelband „Generation Facebook. Über das Leben im Social Net“, der im Oktober erschienen ist, sucht nach Antworten auf diese Fragen und durchquert dabei unterschiedlichste Bereiche wie politische Ökonomie, Politik, Freundschaft, Identität sowie das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit.
Einer der wichtigsten Umbrüche scheint sich derzeit im Bereich der Ökonomie abzuzeichnen: Wie Mark Andrejevich in seinem Beitrag zum Buch beschreibt, kann gerade die Entstehung einer völlig neuen Produktionsweise beobachtet werden. Motor des wirtschaftlichen Wachstums ist eine sich immer feiner verästelnde Ausprägung individueller Präferenzen. Statt eines Prinzips der Masse – Massenproduktion, Massenkonsum, Massenmedien – gilt das Prinzip der Differenzierung. Und genau hier setzten die Marketing-Tools von Facebook an, indem sie die Vorlieben der Mitglieder bis hin zur individuellen Ebene für die Werbetreibenden transparent machen.
Die User_innen stellen nicht nur ihre Updates, ihren Wohnort, ihre demografischen Daten, Interessen und Informationen über angeklickte »Likes« zur Verfügung, auch Geburtstag, Schulabschluss, Beruf und Zivilstand werden bereitwillig hergegeben. Was hierbei geschieht beschreibt Andrejevich als „digitales Enclosure“ – ein Prozess, der mit der historischen Einhegung von Ländereien vergleichbar ist: Ähnlich wie die Verwandlung von Gemeindeeigentum in Privateigentum eine Vorbedingung für die Entwicklung kapitalistischer Arbeitsbedingungen darstellte, bildet die Aufzeichnung des eigenen Lebens in formularhaften Interfaces die Voraussetzung für deren kommerzielle Verwertung.
Auf Facebook wird demnach gearbeitet, allerdings nicht im herkömmlichen Sinne von Lohnarbeit, sondern in Form von »immaterieller Arbeit«. Dabei werden die Trennlinien zwischen Arbeit und Freizeit immer brüchiger. Wo sich einst die Interessen der Arbeitenden und der Unternehmen klar gegenüberstanden, werden hier die Konfliktlinien immer undeutlicher. Technische Features wie der Like-Button treiben die Verwertungslogik immer weiter voran – bis hin zur Ebene unbewusster Affekte – und erschließen Bereiche des Lebens, die ihr bisher entzogen waren. Aber – auch das heißt »immaterielle Arbeit« – sie findet nicht unter Zwang statt. Die User_innen stellen ihre Interessen, Wünsche und Meinungen aus eigenem Antrieb zur Verfügung.
Es ist, so konstatiert Andrejevich, kein Zufall, dass Social Networks wie Facebook ausgerechnet dann populär werden, wenn das Marketing einen enormen Hunger nach persönlichen Daten entwickelt. Es ist vielmehr genau dieser Datenhunger, der der Konzeption und dem Design dieser Plattformen zugrundeliegt. Sie sind Teil einer ökonomischen Logik, die mit dem privaten Leben der Nutzer ein neues, umfangreiches Feld der Verwertung gefunden hat. Facebook ist dabei lediglich die Maschine, mit der die Ernte eingefahren werden soll. Ob dies gelingen wird, können letztlich nur die Nutzer_innen entscheiden. Sah es zwischzeitlich einmal so aus, als wären sie der Kommerzialisierung ihres Online-Lebens überdrüssig geworden, so verzeichnet Facebook inzwischen wieder stetige Zuwachsraten und ist auf einem guten Weg, die magische Marke von einer Milliarde Nutzer_innen weltweit zu erreichen (es wird jedoch nicht jedes Account regelmässig genutzt).
Dabei mangelt es nicht an Möglichkeiten, um dem digitalen Enclosure zu entkommen: Alternativen wie diaspora oder friendica sind genauso leicht zu bedienen wie Facebook, bieten aber all die Features, die man bei Facebook vermisst: Werbefreiheit, weitegehende Kontrolle über die eigenen Daten, überwiegend verschlüsselte Kommunikation, offenen Quellcode usw. Inzwischen sind diese Plattformen zudem so gut mit Facebook integrierbar, dass es keiner Entweder-Oder-Entscheidung mehr bedarf – der Facebook-Freundeskreis kann auch von diesen Plattformen aus erreicht werden und umgekehrt.
Bleibt zu hoffen, dass der Facebook-Börsengang für viele einen Anlass bietet, diese Alternativen auszuprobieren. Ein durchschnittlicher Benutzeraccount wird mit ca. 100 USD bewertet – deutlicher lässt sich der ungleiche Deal zwischen Unternehmen und Nutzer_innen wohl nicht vor Augen führen. Schon vielfach wurde erklärt, Facebook wäre den Nutzern zu kommerziell geworden und damit auf dem besten Weg „uncool“ zu werden. Vielleicht ist es nun tatsächlich so weit.